Renate Petzinger

Gedanken zu Kult und Mythos im Werk von Ulrike Rosenbach

In der St. Petri-Kirche in Dortmund zeigt Ulrike Rosenbach 1995 eine Ausstellung mit dem Titel „Über den Tod“. Ausgangspunkt für die künstlerische Auseinandersetzung mit diesem Thema sind Kultformen und Mythen, die die Menschen im Laufe von Jahrtausenden zum Thema Tod entwickelt haben. Ulrike Rosenbach spürt den inhaltlichen Botschaften dieser Überlieferungen ebenso nach wie deren visueller Ausdrucksform und entwickelt in einer meditativ-künstlerischen Verarbeitung beider Aspekte Voraussetzungen für eine kontemplative Betrachtung, die uns auf die Begegnung mit uns selbst, mit unserem eigenen Wesen verweist.

Am Beginn von Ulrike Rosenbachs künstlerischer Auseinandersetzung mit Kult und Mythos steht die Thematik ihres eigenen Daseins als Frau und als Künstlerin. Nach dem Studium der Kunst und Kunstgeschichte an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf geht sie zunächst autobiographisch vor, wendet sich aber bald dem Bild der Frau in der Kulturgeschichte allgemein zu und verbindet die künstlerische Arbeit auf diese Weise von Anfang an mit kulturgeschichtlicher Forschung. Auch setzt sie sich intensiv mit Semiotik und insbesondere mit dem Werk von Umberto Eco auseinander. Die gewählte Symbolik und ikonographische Begrifflichkeit haben von da an stets mit den Ergebnissen paralleler kulturgeschichtlicher Forschung zu tun.

In der Auseinandersetzung mit den Klischees und Typisierungen, die über Frauen existieren, wendet sich Ulrike Rosenbach insbesondere den Frauenrollen der vorpatriarchalen, also der matriarchalen Welt und den Frauenrollen des Mittelalters zu - letzteren wird später auch eine Neubewertung der Hexenmythen zuteil werden. Rosenbachs aus heutiger Sicht bedeutendste feministische Werke der siebziger Jahre sind die 1975 entstandenen Arbeiten „Glauben Sie nicht, daß ich eine Amazone bin“ und „Madonna of the flowers“, die 1976 enstandene Arbeit „Reflektionen über die Geburt der Venus“ und die 1977 entstandene und heute im Museum Wiesbaden befindliche Videoskulptur „Herakles - Herkules - King-Kong“.

Es sind Arbeiten, deren Radikalität und Intensität damals nicht nur im feministischen Thema, sondern auch im Medium liegt. Denn die siebziger Jahre sind auch die Zeit, in der Ulrike Rosenbach zu der ihr gemäßen künstlerischen Form findet: sie geht aus von der Performance/Aktion, kommt von da zur Live-Video-Aktion, zum Videotape und schließlich zur Videoinstallation und zur Videoskulptur und den begleitenden und später auf dem Computer bearbeiteten Standphotos. Ihre Arbeitsweise ist prozessual und medienübergreifend. Aus der Aktion/Performance entsteht Video, aus dem Video entstehen Installationen und Skulpturen, aus den Installationen und Skulpturen entstehen Standphotos, sodaß manchmal aus einem Thema ein ganzer Werkzyklus erwächst. In thematischem Kontext dazu stehen jedesmal Zeichnungen und Arbeiten auf Papier, später auch Photoarbeiten.

Die Videokamera wird im übrigen von der Künstlerin auf eine Weise eingesetzt, die der ursprünglichen Anwendung des Videos sehr nahe kommt. Video war ursprünglich eine Erfindung zur Kontrolle für Rüstung, Raketen und für die Weltraumfahrt. Und eben dieses Moment der Kontrolle, welches von Ulrike Rosenbach selbst als das Gefährlichste daran bezeichnet wird, macht sie sich in ihrer Arbeit mit der Kamera zu eigen. Mit detaillierten und bewußt langsamen Aufnahmen aller Vorgänge verweigert die Künstlerin jede TV-mäßige Unterhaltung, um so die Untersuchung geringster Veränderungen in einer meditativen Stimmung zu ermöglichen.

Der Schweizer Ausstellungsmacher Dr. Harald Szeemann hat Perspektiven für die Videokunst Anfang der siebziger Jahre folgendermaßen umschrieben: „Was ich vorschlage für Videos, ist eine Zukunft im Dienste schwieriger, inhaltsorientierter Visualisationen von ikonographischen Themen, von Mythen unserer Zeit und der Analyse der Institution, die uns ermöglicht, unsere Arbeit zu leisten.“

Mit ihren Experimenten und Erfindungen hat Ulrike Rosenbach das Medium Video in eben dieser Weise künstlerisch eingesetzt und damit ein Stück zeitgenössischer Kunstgeschichte geschrieben, von der vieles, was in der Aufbruchszeit der siebziger Jahre erstmals erprobt wurde, inzwischen zum klassischen und gültigen Repertoire der Videokunst gehört.

Die Auseinandersetzung mit dem Bild der Frau war 1972 und 1975 angeregt und beflügelt worden durch längere Aufenthalte von Ulrike Rosenbach an der amerikanischen Westküste. Die Begegnungen dort führen die Künstlerin zu dem übergreifenden Thema der Beziehung zwischen Mensch und Natur. Die amerikanische Westküste ist kulturell verwoben mit der ihr gegenüberliegenden Seite des pazifischen Ozeans, fernöstliche Naturmystik und Zen-Buddhismus haben dort in einer Kunst, die als Ausdruck von Meditation begriffen wird, eine lange und tief verwurzelte Tradition. Ulrike Rosenbach erfährt an der West-Coast eine vertiefte Begegnung mit jener Spiritualität, die sie schon als Beuys-Schülerin kennengelernt hat und die für ihr weiteres künstlerisches Werk von wachsender Bedeutung werden wird.

Eine erste wesentliche Arbeit in diesem Zusammenhang ist 1976 die Video-Performance und Installation „Zehntausend Jahre habe ich geschlafen“. Für diese Arbeit breitet Ulrike Rosenbach auf dem Boden der Neuen Galerie Aachen einen großen Kreis von 6 m Durchmesser aus Salz aus. Im Zentrum dieses Salzkreises befindet sich ein kleinerer Kreis aus grünem Moos. Auf diesem Moos liegt Ulrike Rosenbach, eingespannt wie ein Pfeil in einen riesigen Bambusbogen, dessen Sehne den Körper der Künstlerin zusammenkrümmt. Nach drei Stunden erhebt sie sich, geht mit langsamen Schritten aus dem Kreis und schreibt den Satz in das Salz: „10 000 Jahre habe ich geschlafen und nun bin ich erwacht.“ Die Aktion wird aufgenommen von einer Videokamera, die wie ein Kontrollauge auf einer Schiene rings um den Kreis fährt. Rosenbach beendet die Performance, indem sie mit einem bereitliegenden Stahlpfeil den Stromkreislauf der Schiene unterbricht.

1982, nach dem Tode der Mutter und der Großmutter, geht Ulrike Rosenbach erneut für einen längeren Zeitraum in die USA und setzt sich noch intensiver mit der fernöstlichen Naturmystik und insbesondere mit dem Zen-Buddhismus auseinander. Die Arbeiten der achtziger Jahre sind nun immer stärker geprägt vom Thema der Einheit von Mensch und Natur und davon, wie der Mensch mit dieser ursprünglich vorhandenen und dann auseinandergefallenen Einheit umgeht.

Ulrike Rosenbach erkennt rückblickend, daß eine besondere Sensibilisierung für diese Thematik während des Studiums durch den Lehrer Joseph Beuys angeregt worden ist. 1986, nach Beuys‘ Tod, schreibt sie darüber: „Wie sehr mich seine Vorstellungen von ‚Kunst und Leben‘, seine Beziehung zur Natur beeinflußt haben, ist mir erst in den letzten 5 Jahren so richtig bewußt geworden ... Nehmen wir zum Beispiel das ‚Erdtelefon‘, das ich so sehr liebe. In so einfacher und humorvoller Weise ist es ein Verweis auf die notwendige Korrespondenz mit der Natur.“

Und sie erinnert sich daran, daß bereits ihre erste Aktion nach dem 1969 abgeschlossenen Studium von der Korrespondenz Mensch-Natur ausgegangen war. 1970 hatte sie eine „Naturkreisaktion“ vollführt. In dieser Aktion kniete die Künstlerin unter einem blumenübersähten netzartigen Tellerrock, der zwischen ihrem Hals und dem Boden ein kreisförmiges Zelt bildete. In diesem Zelt befanden sich gemeinsam mit ihr viele Vögel. Die Aktion endete damit, daß Ulrike Rosenbach aufstand, davonging und die Vögel befreit fortflogen.

In den achtziger Jahren entstehen, ausgehend von der inzwischen vertieften Beschäftigung mit fernöstlicher spiritueller Naturmystik, ganze Werkzyklen, in denen sich Ulrike Rosenbach dem Mythos Mensch-Natur weiter nähert. Die 1982 uraufgeführte „Begegnung mit Ewa und Adam“ ist ein solcher Werkzyklus, ebenso die Arbeit „Aufwärts zum Mount Everest“ von 1983, 1984/85 „die Eulenspieglerin“, ein Statement der Künstlerin über sich selbst und über die Verbindung von Leben und Tod, bei dem erstmals das Motiv des Engels auftaucht, 1986/87 dann „AMA-zonas“, ein Titel, der wörtlich übersetzt Seelen-Zone bedeutet, 1987, auf der documenta 8, die Videoskulptur „Orphelia“, die auf einer Performance aufbaut mit dem Titel „Zurück zur Natur, aber wie“ und bei der es um die Erforschung weiblicher Seelenkomponenten des Mannes geht (hier am Beispiel von Orpheus und Hamlet) und 1989 der Zyklus „Ein Moment im Leben des chinesischen Malers Hu em Ey“.

In dieser Videoinstallation, deren Titel beim Aussprechen das englische „Wer bin ich“ darstellt, stehen sich zwei Videomonitore auf Sockeln gegenüber. Die Monitore sind mit asiatischem Reispapier überklebt, das eine zusammenhängende Bahn bildet, welche in der Mitte zwischen den beiden Sockeln in eine Schale voll schwarzer Zeichentusche sinkt. Auf einem Monitor ist das Gesicht der Künstlerin selbst zu sehen, die auf dem Kopfe stehend, ihr Werk betrachtet, das auf dem gegenüberliegenden Monitor als blühende Pflanze erscheint. In der Mitte Papier und Tusche, das Material des Künstlers. In dieser und in den folgenden Arbeiten versucht Ulrike Rosenbach mehr und mehr, sich einer von ihr selbst als meditativ bezeichneten Kunst zu nähern, oder, wie sie es selbst formuliert, als „westlich geprägte Künstlerin östliche Lebens/Kunst zu erfassen“.

„Ein Moment im Leben des chinesischen Malers Hu em Ey“ ist zugleich eine Arbeit, bei der Ulrike Rosenbach zu einer ihrem Werk der neunziger Jahre gemäßen Form der Videoskulptur übergeht. Die Technik ist einfach, die Monitore werden nicht ummantelt, sondern sind inclusive der Kabel und der Recorder sichtbarer Teil der Skulptur. Die Monitore stehen in dieser Arbeit noch auf Sockeln, in späteren Arbeiten wird die Durchsichtigkeit der Skulptur durch leichte Stahlskelette als Trägerelemente noch verstärkt werden. Rote Kabel werden zuweilen ganz bewußt an den Faden der Ariadne erinnern, der durch das Labyrinth weist. Seidenpapierbahnen, die den Performances und Aktionen der Künstlerin häufig als Videoprojektionswand dienen, werden mittels Öl auf den Monitorscheiben zur Haftung gebracht und lassen die dahinterliegenden Bilder wie Schattenspiele erscheinen. Auch die Videotapes sind mit einfacher Technik hergestellt, es sind durchweg nichtgeschnittene real-time-Bänder, die auf der Paint-Box bearbeitet werden.

Ein wichtiges Werk jüngeren Datums, in dem diese Technik der Videoskulptur weiter ausgearbeitet wird, ist die Videoinstallation „Requiem für eine Eiche“ von 1992. Auf diese Arbeit, die 1995 zusammen mit der Performance/Aktion ãÜber die Engel“ als Teil der Veranstaltung „Andere Orte - Überall“ in der Kreuzkirche in Hannover zu sehen ist, soll hier ebenfalls eingegangen werden, denn Ulrike Rosenbach setzt sich in dieser Arbeit erstmals in allgemeiner Form mit Kult und Mythos vom Werden und Vergehen auseinander.

„Requiem für eine Eiche“ besteht aus drei leichten Stahlgerüsten, die etwas über Augenhöhe Monitore tragen. Auf den Videobändern dieser Monitore flackern Fackeln im Dunkel eines nicht näher zu definierenden Hintergrunds. Unter den Monitoren wächst das Wurzelwerk der Eiche. Monitor und Wurzelwerk werden betrachtet durch große Seidenpapierbahnen hindurch, die mit Öl getränkt und damit auf den Mattscheiben zur Haftung gebracht worden sind. Durch das so erzeugte Schattenspiel erscheinen die Wurzeln optisch vergrößert, als geheimnisvolles Gewirr, das sich mal zu einem Torbogen, mal zu einer chinesischen Tuschezeichnung zu formen scheint.

Die Eiche, der diese Wurzeln entstammen, ist wie kein anderer Baum Symbol für Kraft, Mut, Schutz, Beständigkeit, aber auch für den Menschen selber. In der chinesischen Tradition ist sie die männliche Stärke, auch die schwache Seite der Kraft, die sich widersetzt und im Sturme bricht, im Gegensatz zur Kraft der Schwäche in der Weide, die sich biegt und am Leben bleibt.

Die Eiche als Baum ist aber auch Symbol für den Naturmythos des ewigen Werdens und Vergehens, der Synthese von Himmel, Erde und Wasser, verwurzelt in der Tiefe der Erde, wachsend in der Welt der Zeit, sich ständig neu reproduzierend und gen Himmel strebend. Abgestorben ist der Baum zugleich Symbol der Vergänglichkeit und des Todes, ikonographisch werden ihm viele Eigenschaften zuerkannt, die ihn zum Abbild des Menschen machen.

1989 nimmt Ulrike Rosenbach den Ruf an die neugegründete Kunsthochschule in Saarbrücken an und lebt und arbeitet seitdem auf dem Land an der französischen Grenze. An der Saarbrücker Akademie leitet sie die Klasse für neue künstlerische Medien, mit der sie ganz bewußt an der multimedialen Grundlage der Bauhausschule in Weimar anknüpft und deren experimenteller Charakter nicht nur die Arbeit mit den neuen technischen Medien umfaßt, sondern Körper und Geist - und dies ebenfalls im Sinne eines alten Bauhausgedankens - zu ganzheitlichem Kreativ-Training führt, welches sich zugleich - wie bei vielen Künstlern der Bauhauszeit, aber ebenso der heutigen Generation - aus der Beschäftigung mit dem Zen-Buddhismus speist.