Der Kreis, der Mythos und die Medien

Stichworte zum künstlerischen Werk von Ulrike Rosenbach

Klaus Honnef

Eine immer wiederkehrende Figur im künstlerischen Werk von Ulrike Rosenbach ist der Kreis. Als sichtbares Zeichen eines Bildes, einer Bilderfolge, einer Performance oder einer Installation, häufig als deren konstituierendes formales Element, weist er andererseits stets über sich hinaus, ohne einen a priori umrissenen Horizont zu definieren, und findet mal als Metapher, mal als Symbol Verwendung, mal als eine Form des fließenden Übergangs zwischen Symbol und Metapher. Schon die erste Performance, die sie realisiert hat, hieß in signifikanter Zuspitzung „Naturkreisaktion“ (1970). Das weite Gewand, das die Künstlerin trug, beschrieb einen Kreis; darunter befanden sich Singvögel, die im Laufe der Aktion freigelassen wurden. Der Kreis umschloß nur für einen vorübergehenden Augenblick einen bestimmten Raum, grenzte ein und aus, solange er das Gewand fundierte, und in dem Moment da sich die Künstlerin erhob, um ihn aufzulösen und den Vögeln die Freiheit zu geben, blendete er in den Bereich des Imaginären über. Ulrike Rosenbach begreift die Figur des Zirkels nicht als ein- und ausschließendes Ganzes, sondern in einem dynamischen Sinne, als Prozeß, als Entwicklung, als imaginäre Gestalt sowohl im Raum als auch in der Zeit, als Spirale, die gleichwohl auf ihren Ursprung zurückfällt. Doch die Bewegung des spiralförmigen Verlaufs schreitet nicht kontinuierlich fort, sondern in einem diskontinuierlichen Rhythmus, nicht gleichmäßig, sondern sprunghaft, beständig oszillierend auch zwischen Vorschein und Rückblick, und in den Arbeiten vergegenwärtigt sich der Kreis vielfach in fragmentarischer Brüchigkeit oder als imaginärer Ort der die gelegentlich ebenfalls verwendeten Formen des Kreuzes oder gleichschenkligen Dreiecks umfängt. In manchen Aktionen hat sich die Künstlerin um die eigene Achse gedreht, bald in Zeitlupe, bald rasch, bis sie beinahe schwindlig wurde, und in einer Art ekstatischem Zustand für einen Zeitbruchteil den Kreis des physischen Daseins, der Körperschwere sprengte.

Die Grenzen des zur bloßen Konvention erstarrten Kunstbegriffs zu überschreiten, war zudem programmatischer Wille der avancierten Kunst der 60er und 70er Jahre, eines Kunstbegriffs, der sich unbeschadet aller Anschläge der künstlerischen Avantgarde nach dem Ende des ersten Weltkrieges erhalten hatte, nicht zuletzt gerade aufgrund der permanenten Herausforderung und Unterminierung, und vorzüglich im Objektcharakter des Kunstwerks materialisierte. Zwar klangen in den Bestrebungen, wiewohl unterschiedlich markant, Reflexe romantisch-idealistischer Theorie auf, doch die wachsende Verbreitung der technischen und elektronischen Bildmedien, denen man alsbald das Epitheton „neu“ zugesellte, verliehen ihnen zusätzlich Nachdruck und bahnten schließlich den Weg zu einem von der Kunst bis dahin nur peripher erforschten Terrain. Mit dem schlagenden Satz denken ist Plastik, in dem er seiner Vorstellung Ausdruck gab, daß jede intellektuelle Unternehmung zugleich im Gehirn einen physischen Vorgang plastischer Veränderung auslöse, brachte Joseph Beuys die Bestrebungen auf eine einprägsame Formel. Eine seiner Schülerinnen war Ulrike Rosenbach und seine künstlerischen Intentionen haben auch ihre Arbeit entscheidend befördert. Wie er Bildhauer, ist sie ursprünglich Bildhauerin. Allerdings nicht mehr im überlieferten Verständnis des Metiers, des Modellierens, also des Hinzufügens oder des Herausschlagens, des Wegnehmens mithin –‚ an die Stelle der tradierten Verfahren, trat dank Beuys und anderer, ähnlich orientierter Künstler eine Methodik, die im zeitlichen Vollzug statt im fertigen Produkt, das die zeitliche Komponente gleichsam absorbiert, das Potential ästhetischer Erfahrung freizusetzen suchte. Sie habe, sagt die Künstlerin, den Prozeß des Machens stets intensiver erlebt als die Befriedigung durch sein schließliches Ergebnis, und so war ihr künstlerisches Konzept von Anbeginn mit der Dimension des Zeitlichen verknüpft, dem Ent-wickeln einer Vorstellung, was verhältnismäßig rasch dazu führte, daß sich ihr die Dimension der Zeit als wesentlicher künstlerischer Gegenstand erschloß. Der Unterschied zu früheren Thematisierungen des Problems der Zeit in der Kunst, der Malerei des Futurismus beispielsweise, bestand in der Dynamisierung des Werkbegriffs, genauer: in der konsequenten Ablehnung eines wie immer gearteten illustrativen Illusionismus.

Ulrike Rosenbachs künstlerische Strategie entfaltete sich Zug um Zug aus der künstlerischen Praxis. Beispiele liefern die Objekte für den eigenen Körper (1968 und 1970), etwa „Hauben für eine verheiratete Frau“ aus Metallstäben und Gazestoff, die sich bewußt auf mittelalterliche weibliche Kopfbedeckungen bezogen, und der weite „Mantel“ für die „Naturkreisaktion“. Notwendige Voraussetzung einer angemessenen, ihre visuellen Möglichkeiten ausschöpfenden Präsentation war die öffentliche Vorführung, die Entwicklung der „Objekte“ in Raum und Zeit. Eine stationäre Ausstellung hätte sie um ihre Wirkung gebracht. Als ebenso inadäquat entpuppten sich freilich auch fotografische Abbildungen. Sie reduzierten den prozessualen Verlauf einerseits wiederum auf eine statische Erscheinung, andererseits überlagerten die kulturellen Kodierungen, mit denen die Fotografen durchaus das fotografische Bild vor und nach dem eigentlichen fotografischen Akt versahen, die Absicht der Künstlerin beinahe vollständig. Sie verschoben die Arbeit obendrein in einen kulturellen Zusammenhang, historisch vermittelt und ideologisch verfestigt, der sich ihrem ästhetischen Wollen entgegensetzte.

Die pragmatischen Erfahrungen mit dem Medium der Skulptur und dem Medium der Fotografie schärften Ulrike Rosenbachs Aufmerksamkeit für das defizitäre Medienbewußtsein der zeitgenössischen Kunst, für die Abhängigkeit der „Inhalte“ der Kunst von der Prägekraft der Formenstruktur und dem Einfluß der spezifisch medialen Qualitäten der künstlerischen Aussage. In der Re-amateurisierung der Fotografie, wie sie die zeitgenössische Concept Art erprobte, und der Re-amateursierung des Films, wie sie sich im damaligen Underground-Film abzeichnete, erblickte sie aber Möglichkeiten die sie für ihre Kunst zu nutzen vermochte – freilich eher in prinzipieller Hinsicht. Denn sie entdeckte für sich ein künstlerisch noch ganz unverbrauchtes Medium, Video, ein Medium ohne Code, das im industriellmilitärischen Komplex der Kontrolle und Überwachung diente, und Ulrike Rosenbach ist es, die ohne Zweifel zu jenen Künstlerinnen und Künstlern zählt, die diesem Medium erst zur Sprache verholfen haben.

Auszug aus dem Katalogtext: Ulrike Rosenbach. Die einsame Spaziergängerin, Göttingen 1998.